Seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine wollen Tausende von Russinnen und Russen ihre Heimat verlassen. Gleichzeitig sehen sich zahlreiche, bereits im Ausland lebende Russen aufgrund der Sanktionen mit enormen Schwierigkeiten konfrontiert, auch in Finanzangelegenheiten.

Der Ukraine-Krieg habe zu einer drastisch veränderten geopolitischen Situation in Europa und Asien geführt, erklärte der Anwalt Christian Kälin, am Dienstag an einer Diskussionsrunde in Zürich. Er ist Chairman der weltweit tätigen Beratungsagentur Henley & Partners, die auf Wohnsitzbewilligungen und den Erwerb von Staatsbürgerschaften spezialisiert ist.

Russland erlebe derzeit die weltweit grösste Abwanderung von Millionären, so Kälin weiter. Er geht davon aus, dass bis Ende 2022 bis zu 15'000 wohlhabende Personen das Land verlassen werden. Dies entspricht etwa 15 Prozent der vermögenden Bevölkerung in Russland.

Instabile Situation

Aufgrund instabilen geopolitischen Situation sei die Nachfrage nach zweiten Staatsbürgerschaften seit Anfang Jahr weltweit gestiegen, erklärte er. Entsprechend boome das Geschäft für Henley & Partner. Mittlerweile würden auch überdurchschnittlich viele EU-Bürgerinnen und -Bürger den Erwerb einer Staatsangehörigkeit in Erwägung ziehen, sagte Kälin weiter. Wie stark politische Veränderungen einen Einfluss auf die Migration haben, zeigt sich auch in China, wo im laufenden Jahr voraussichtlich rund 10'000 Millionäre abwandern werden.

Bei dem von Henley & Partners initiierten Anlass waren das Wirtschaftsmagazin «Bilanz» sowie finews.ch die Medienpartner. Mit auf dem Panel waren – neben Christian Kälin – der Schweizer Herzchirurg Paul Vogt, der indisch-amerikanische Politikwissenschaftler, Strategieberater und Publizist Parag Khanna sowie finews.ch-Gründer Claude Baumann; moderiert wurde die Diskussion von «Bilanz»-Chefredaktor Dirk Schütz. Nachstehend ein paar Impressionen.

Uneins waren sich die Podiumsteilnehmer über die künftige Rolle Russlands. Khanna ist überzeugt, dass die Annäherung Russlands an China unumkehrbar sei. Die Bande vor allem auf wirtschaftlicher Ebene werde immer enger. Darum sei die westliche Sichtweise falsch, Russland als im Kern osteuropäisches Land anzusehen. Vielmehr müsse Russland künftig als Teil der nordasiatischen Hemisphäre betrachtet werden.

Jahrelang in der Ukraine gearbeitet

Dieser Neuzeichnung der geopolitischen Landkarte konnte der Mediziner Paul Vogt nichts abgewinnen. Der Initiator der EurAsia Heart Foundation, der sich seit vielen Jahren unter anderem in der Ukraine und in Russland für Menschen mit Herzfehlern einsetzt, ist überzeugt, dass sich die russische Bevölkerung als zugehörig zu Europa empfindet. Zudem lebten etwa 80 Prozent der Russinnen und Russen im europäischen Teil des Landes.

Dass aus der Abkehr Russlands von Europa eine engere Beziehung zum chinesischen Regime entsteht, ist nach Ansicht Khannas kaum zu erwarten. Zwar würden chinesische Unternehmen schon seit 2008 ihre Präsenz in Russland ausweiten. Diese grössere Abhängigkeit zwischen den beiden Ländern führe aber keineswegs zu einer von gegenseitigem Vertrauen geprägten Freundschaft.

Wenig Vertrauen

Allianzen zu schmieden, sei in ganz Asien, wo kein einziges Land einem anderen vertraue, nicht möglich. In Konflikten würden die asiatischen Länder jeweils stoisch abwarten und ihre Interessen letztlich an den Gewinnern ausrichten und dort ihre Gelder platzieren.

Dass die Globalisierung den Zenit überschritten und nun eine Trendwende eingeleitet würde, war für keinen der Teilnehmer ersichtlich. Hingegen dürften sich über die Zeit mit der EU, Nordamerika und Asien drei grosse Wirtschaftsblöcke bilden, die ihre Autarkie über höhere Handelsgrenzen und mehr staatlicher Lenkung in der Wirtschaftspolitik verstärken könnten, wie Khanna ausführte. Unlängst erschien von ihm das Sachbuch «Move» zum Thema globale Migration.

Alpine Oase

Die Schweiz bezeichnete Khanna als «alpine Oase»; angesprochen auf den Klimawandel, erklärte Khanna, die Wasservorkommen in den Alpen könnten sich sogar als ein weiterer Vorteil für das Land erweisen. Ohnehin verfüge unser Land gewissermassen über eine magische Formel der Stabilität, die durch eine hohe Mobilität und eine exzellente Vernetzung in vielerlei Belangen noch verstärkt würde.

Gleichzeitig diagnostizierte Khanna Bereiche für Verbesserungen, die er aus seinen internationalen Untersuchungen von Werten der heranwachsenden Generation ableitete. Demnach bezeichnen sich die Jungen mehrheitlich als ökologisch, tolerant, wünschen sich ein ausgezeichnetes Bildungssystem und später stabile Stellen statt ständiges Job-Hopping.

Dabei sei es diese Generation gewohnt, datenbasierte Entscheid zu fällen. Ranglisten und Ländervergleiche würden darum sehr genau studiert.

Konkurrenz für den Schweizer Finanzplatz

Der Schweizer Finanzplatz wird nach Meinung aller Podiumsteilnehmer seinen Status als sicheren Hafen auf absehbare Zeit verteidigen können. Doch bei genauerem Hinsehen sei nicht zu übersehen, dass das Ansehen des Finanzplatzes erodiere, betonte Claude Baumann, Gründer von finews.ch.

Dabei verwies er auf den kürzlich publizierten «Global Wealth Report 2022» der Beratungsfirma Boston Consulting Group (BCG) hin, wonach asiatische Finanzplätze wie Singapur und Hongkong der Schweiz als Offshore-Zentrum bis zum Jahr 2026 den Rang ablaufen werden.

Wankelmütiger Bundesrat

Ausserdem sende ein wankelmütiger Bundesrat verstörende Signale aus, wenn er wie unlängst auf ausländischen Druck die Neutralität abschwäche und die EU-Sanktion integral übernommen habe. Sowohl die Branche als auch die Politik dürften sich also nicht in falscher Sicherheit wiegen und müssten ihre Hausaufgaben machen. Besonders schwierig sei nun die Situation für im Ausland lebende Russinnen und Russen, deren Vermögen aufgrund der Sanktionen zum Teil blockiert seien. 

Dies habe zweifelsohne das Vertrauen in den Schweizer Finanzplatz erschüttert, sagte Baumann. Eine liberale Wirtschaftsordnung und die Stärke des politischen Systems in der Schweiz, insbesondere auf kommunaler Ebene, seien wichtige Pfeiler, um gute Rahmenbedingungen auch für die nächsten Generationen hierzulande zu sichern, unterstrich Baumann.

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