Facebook hat viel beachtete Pläne einer neuen Kryptowährung namens Libra präsentiert. «Was kann das aus strategischer Sicht für die Bankbranche bedeuten?», fragt sich Finanzprofessor Teodoro Cocca in seinem Beitrag auf finews.first.


Teodoro D. Cocca ist Bankenprofessor an der Johannes-Kepler-Universität in Linz und Adjunct Professor am Swiss Finance Institute. Er schreibt regelmässig für finews.ch. Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.


Das eigentlich Revolutionärste an der Libra-Ankündigung ist der Umstand, dass sie von einem privatwirtschaftlichen Unternehmen kommt. Eigentlich eine unfassbar subversive Idee für ein privatwirtschaftliches Unternehmen, ist doch das Geldmonopol ein urstaatliches Privileg.

Als ob das nicht schon genügen würde, verbindet Facebook – in gewohnt unbescheidener Silicon-Valley-Manier – das Projekt mit dem globalen Anspruch, friktionslose Zahlungen mit einer durch Vermögenswerte voll gedeckten Kryptowährung für Milliarden von Menschen zu ermöglichen.

Und in der Tat: Das am 18. Juni 2019 veröffentlichte White-Paper zum Libra-Projekt hat es in sich. Mit Libra wird sich eine Art globale Währungsunion realisieren lassen und dies alles auf privater Basis. Wow, das ist mal eine Vision!

«Libra zeichnet sich durch Merkmale aus, die es zu einem sehr konkurrenzfähigen Zahlungsmittel machen könnten»

Libra wird unmittelbar vor allem die bereits heute sehr umkämpfte Payment-Landschaft verändern und lokale P2P-Payment- und Cross-Border-Payments-Anbieter in arge Bedrängnis bringen.

Aber Libra wird wohl nicht der letzte Versuch bleiben, die Zahlungslandschaft zu revolutionieren. Es ist zu erwarten, dass Libra wie auch die vielen anderen bereits funktionierenden innovativen Zahlungs-Lösungen (von Bitcoin bis Alipay) weitere Konkurrenz erhalten werden und sich die Fragen stellen wird, wer sich am Schluss wirklich durchsetzen wird. Die meisten Kunden dürften schon längst die Übersicht verloren haben, ob der Flut an neuen Bezahllösungen.

Dennoch, Libra zeichnet sich durch einige Merkmale aus, die es zu einem besonders konkurrenzfähigen Zahlungsmittel machen könnten. Hinter Libra steht nicht etwa nur Facebook, sondern ein potentes Konsortium von Firmen aus der «neuen» und «alten» Welt.

«Bei der initialen Entwicklung der Idee von Libra ist keine einzige Bank (!) involviert gewesen»

Die Kombination von Big Tech (Facebook, Uber, Spotify, etc.) und etablierten Global Playern (Visa, Mastercard, etc.) stellt das neue strategische Element dar. «Big Fintech» könnte sich als strategisch ernsthaftere Herausforderung darstellen als die bisherige von Kleinstfirmen dominierte Fintech-Welle. Die Abwesenden im Konsortium sind augenfällig.

Auch wenn sich dies sicherlich bald ändern dürfte, lässt der Umstand aufhorchen, dass bei der initialen Entwicklung der Idee keine einzige Bank (!) involviert ist. Die grössten Abwesenden sind aber sicherlich die Tech-Giganten Amazon und Google. Das kann nur heissen, dass sie an eigenen Plänen arbeiten. Deren Projekte könnten die Karten wieder neu mischen. Man wird sehen.

«Herausfordernd erscheinen die regulatorischen Fragen»

Facebook hat schon heute einen riesigen Kundenpool (zum Beispiel rund 90 Millionen KMU-Beziehungen weltweit und alleine 300 Millionen tägliche User in Europa), die sich hervorragend eignen könnten, um eine komplette E-Commerce-Plattform basierend auf Libra zu entwickeln.

Moderner ausgedrückt, kann rund um Libra ein Ökosystem entstehen, dass gestützt auf die im riesigen Datenpool der auf Blockchain abgespeicherten Zahlungshistorien ganz neue Finanzdienstleistungen entwickeln könnte (wie daraus maschinell abgeleitete Real-Time-Kreditratings oder Smart-Contracts zur Überwachung der Bonität der Händler). Rund um eine solche E-Commerce-Architektur kann ein grosser, attraktiver Innovationsbereich von Services entstehen.

Herausfordernd erscheinen die regulatorischen Fragen. Libras werden durch Einzahlung von zum Beispiel Franken und der anschliessenden Generierung (Mining) von Libra-Coins, die in einem digitalen Wallet beim Endkonsumenten gespeichert sind, in Umlauf gebracht. Es ist kaum vorstellbar, dass für diese Architektur weltweit eine einheitliche Regelung gefunden wird.

«Dabei könnte eine bisher unbeachtete Passage im White Paper eine visionäre Perspektive eröffnen»

Libra wird wohl deshalb nicht ohne nationale Spezifikationen auskommen. Wie und durch wen in diesem Ökosystem die Geldwäscherei-Bestimmungen (Know-Your-Customer) eingehalten werden, ist eine weitere zentrale Frage. Dabei könnte eine bisher unbeachtete Passage im White Paper eine visionäre Perspektive eröffnen.

Eines der Ziele des Projektes soll darin bestehen, nicht weniger als einen offenen digitalen Identitätsstandard zu entwickeln. Wenn Facebook eines beherrscht, dann die Analyse von Personendaten – ob sich daraus wohl ein individuelles KYC-Rating für jeden Nutzer ableiten liesse?

«Leichtfertig sollten Banker an der Bahnhofstrasse Libra trotzdem nicht als Zuckerberg´sche Utopie abtun.»

Als Fazit lässt sich festgehalten, dass die Reaktionen seitens der Regulatoren, der Politik und der Konkurrenz noch Überraschungspotential beinhalten könnten. Kurzfristig wird Libra für das Swiss Banking vielleicht keinen sehr grossen Impact haben. Leichtfertig sollten Banker an der Bahnhofstrasse Libra trotzdem nicht als Zuckerberg´sche Utopie abtun.

Kryptowährungen wie Libra machen immer deutlicher, dass Zahlungsmittel ohne jegliche Bankenbeteiligung, die ein hohes Mass an Vertrauen erreichen können, zunehmend zur neuen Realität gehören. Es bahnt sich eine Fintech-Welle der zweiten Generation an, in der die Mega-Global-Player des Silicon Valley alternative Ökosysteme aufbauen, welche Finanzfunktionen ohne direkte Bankenbeteiligung erfüllen. So betrachtet müssen Facebooks Pläne als strategische Provokation gelesen werden.


Teodoro D. Cocca ist seit 2006 Professor für Asset und Wealth Management an der Johannes Kepler Universität Linz. Davor war er einige Jahre bei der Citibank sowohl im Investment als auch im Private Banking tätig, forschte an der Stern School of Business in New York und lehrte am Swiss Banking Institute in Zürich. Zudem ist der Schweizer mit italienischen Wurzeln assoziierter Professor für Private Banking am Swiss Finance Institute (SFI) in Zürich und beratend für Finanzunternehmen und Behörden im In- und Ausland tätig. Seit April 2011 ist er Mitglied des Verwaltungsrats der VP Bank in Vaduz und leitet dort den Strategie- und Digitalisierungsausschuss. Dieser Tage erscheint sein neues Buch: «Digitalisierung im Private Banking» im Frankfurt School Verlag.


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Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
  • Julius Bär, weil der Kurs seit dem Signa-Debakel genügend gesunken ist.
    20.34%
  • Vontobel, weil das Unternehmen 2024 die Wende im Asset Management schaffen wird.
    8.79%
  • EFG International, weil die Bank keinerlei interne Probleme bekundet und stark wächst.
    14.89%
  • UBS, weil die Grossbank auch als Privatbank enormes Potenzial bietet.
    46.34%
  • Banque Cantonale Vaudoise, weil sie unter den Kantonalbanken ein grosses Private Banking anbietet.
    9.65%
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