Raiffeisen-Verwaltungsratspräsident Guy Lachappelle muss sich vorwerfen lassen, durch den Austritt aus der Bankiervereinigung die vereinten Interessen des Schweizer Finanzplatzes zu schwächen. Ist das wirklich so?

Bei der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) sitzt nach dem angekündigten Austritt der Raiffeisen Gruppe der Schock tief. Man sei vor allem enttäuscht, sagte Bankier-CEO Jörg Gasser im Interview mit finews.ch.

Aus der angeschlagenen Lobby-Organisation tönte es, es habe keinerlei Anzeichen für diesen Schritt gegeben, keine Diskrepanzen und keine konflikträchtigen Themen mehr, die Raiffeisen zum Anlass für den Austritt hätte nehmen können.

Seit Jahren Misstöne

Das ist die eine Sicht. Tatsache ist, dass es in der Bankiervereinigung bereits seit Jahren Misstöne gab und sich ein Graben zwischen den inlandorientierten Banken und den Grossbanken sowie international tätigen Privatbanken aufgetan hatte.

finews.ch hat über diese anhaltenden Konflikte mehrfach berichtet und zuletzt auch deutliche Anzeichen ausgemacht, dass die Bankiervereinigung in einer Zerreissprobe steckt. Erst 2019 hat SBVg-Präsident Herbert Scheidt grössere Anstrengungen unternommen, den Dissens unter den verschiedenen Banken und ihren Vertretern zu lösen.

Ein Jahr Zeit, um Reformen wirken zu lassen

Vor genau einem Jahr traf sich der SBVg-Verwaltungsrat in Rüschlikon zur Aussprache und um einen «neuen Geist der Zusammenarbeit» zu finden, wie ein Teilnehmer gegenüber finews.ch sagte. Allerdings habe es einen unabhängigen Moderator gebraucht, um die anwesenden Alphatiere zu bändigen.

Dennoch: Das Ergebnis war ein sogenanntes Dissens-Management, das offene Streitigkeiten verhindern sollte. Und nach weiteren Diskussionen verabschiedete die SBVg-Generalversammlung diesen September ein neues Organisationsreglement, das die Rollen im Verwaltungsrat, in der Geschäftsstelle und in den Komitees festlegte.

Man habe sich ein Jahr Zeit nehmen wollen, um die Änderungen wirken zu lassen, sagte Gasser.

Schaden am «grossen Ganzen»

Guy Lachappelle, der als Verwaltungsratspräsident die Raiffeisen Gruppe in der Bankiervereinigung vertritt, wollte das nicht und hat in Übereinstimmung mit den 229 Raiffeisen Banken den Austritt per Ende März 2021 beschlossen – nach 101 Jahren Mitgliedschaft.

Für die Bankiervereinigung und ihre Sache, die vereinten Interessen des Schweizer Finanzplatzes zu vertreten, bedeutet der Austritt der drittstärksten Bank der Schweiz eine massive Schwächung. Als im In- wie im Ausland agierende Lobby-Organisation ist es wichtig, als Einheit mit gemeinsamen Interessen aufzutreten und zu verhandeln. Abweichler oder Partikularinteressen schaden dem «grossen Ganzen».

Inland- und Grossbanken: Ein Graben

Treibt Raiffeisen nun einen Keil in diese Einheit und muss sich Lachappelle vorwerfen lassen, Partikularinteressen von Genossenschaftsbankern höher zu gewichten, als die der Bankiervereinigung, die ja alle rund 250 Banken hinter sich weiss.

Tatsache ist wohl: Raiffeisen treibt keinen Keil in die vereinigten Schweizer Banken, der Graben klafft schon länger. Auf der einen Seite sind die sogenannte Inlandbanken und auf der anderen Seite die Grossbanken mit ihrer internationalen Ausrichtung.

Hauptstreitpunkt ist die Regulierung

Der Hauptstreitpunkt ist die Regulierung. Mit ihrer Haltung, Regulierungen wie Mifid II und Kapitalvorschriften wie Basel III würden von internationalen Gremien bestimmt und seien halt zu akzeptieren, übernimmt die SBVg die Position der Grossbanken UBS und Credit Suisse (CS), die im Verwaltungsrat mit ihren jeweiligen Präsidenten Axel Weber und Urs Rohner vertreten sind.

Die Heterogenität der Schweizer Bankenlandschaft äussere sich in den Positionen der Bankiervereinigung nicht, lautet ein Vorwurf. Es herrsche keine Meinungsvielfalt, sondern die Doktrin der UBS und der CS.

Bankiervereinigung war vorgewarnt

Das ist alles nicht neu. Insofern, so ist aus der Raiffeisen zu hören, sei die Überraschung und die Enttäuschung in der Bankiervereinigung nicht nachvollziehbar. Im Gegenteil: Es existiert ein Schreiben von Raiffeisen mit Unterschriften von Scheidt und Gasser, in dem nach der Aussprache in Rüschlikon festgehalten wurde, dass Raiffeisen einen Austritt aus der SBVg in Erwägung ziehen werde, wenn die Reformbemühungen nicht vorankämen.

Die besagten Gespräche in Rüschlikon seien zudem von den Grossbankern nur widerwillig geführt worden.

Lachappelle will eine andere Regulierung

Der Raiffeisen-Austritt war somit kein emotionaler Entscheid von Lachapelle, sondern auch eine Folge der strategischen Auslegeordnung der Genossenschafter von vergangenem Sommer. Was die Öffentlichkeit bezüglich «Raiffeisen 2025» nicht erfahren hat, ist, dass Lachappelle und die 229 angeschlossenen Banken eine andere Regulierung wollen. Eine differenzierte Regulierung, die sich vom im Jahr 2018 beschlossenen Proportionalitätsprinzip abhebt, das sich weiterhin an Basel III orientiert.

Was die Raiffeisen-Strategie ebenfalls beinhaltet, ist der Abschied vom Prinzip der Gewinnmaximierung, das noch unter CEO Pierin Vinzenz gegolten hat, zugunsten einer Vertretung der Interessen der Kunden.

Wer hat den Schaden?

Hier zeigt sich ein weiterer Graben, der sich durch die Schweizer Bankenlandschaft zieht. Die Grossbanken vertreten ihre komplexen Geschäftsmodelle und ihre internationalen Aktionäre, Kantonalbanken ihre staatlichen Eigentümer und das Schweizer Unternehmertum, und Raiffeisen vertritt die Genossenschafter, KMU und über 3,5 Millionen Schweizer Kunden.

Die Frage lautet nun: Wer hat den Schaden? Raiffeisen will regulatorische und gesetzgeberische Themen künftig alleine bearbeiten. Das Selbstbewusstsein spricht für sich: Als dritte Kraft im Schweizer Banking hat Raiffeisen direkte Drähte zu Regulatoren und Politikern. Im Parlament sitzen mit der sogenannten «Raiffeisen Fraktion» verschiedene Politiker, die sich für die Belange der Genossenschaftsbanker einsetzen.

Umdenken in der SBVg

Mit der 2008 gegründeten «Koordination Inlandbanken» führt Raiffeisen eine eigene Lobby-Organisation an, der neben der Migros Bank auch die Verbände der Kantonal- und Regionalbanken angehören.

Die Bankiervereinigung hat dagegen ein grosses Problem: Es hat sich klar gezeigt, dass sie nicht mit einer Stimme für alle Schweizer Banken spricht. Will die mittlerweile 108 Jahre alte Organisation bestehen bleiben und weitere Austritte verhindern, muss sie die Interessen des Schweizer Bankenplatzes anders repräsentieren als sie es bisher getan hat. Die Dominanz, mit der UBS und CS auch im Schweizer Inlandmarkt auftrumpfen können, darf sich in der Bankiervereinigung nicht mehr spiegeln.

Und der Finanzplatz? Der Schaden dürfte sich im Rahmen halten, denn «den Finanzplatz» gibt es angesichts der enormen und weiter wachsenden Vielfalt in der Industrie eigentlich nicht mehr. Man denke nur an die lebendige Fintech-Branche, an das weiter wachsende Crypto Valley und die Vielfalt an Unternehmen, die sich an der Schweizer Banking-Wertschöpfungskette inzwischen gütlich tun. 

 

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