Olaf Hannemann war früher Investmentbanker bei J.P. Morgan. Heute beteiligt er sich an Blockchain-Startups. Im Interview mit finews.ch sagt der Mitgründer der Firma CV VC, wie das Crypto Valley das Silicon Valley konkurrenzieren kann.


Herr Hannemann, bevor Sie CV VC mitgegründet haben, waren Sie Investmentbanker beim US-Finanzkonzern J.P. Morgan. Als der Bitcoin-Boom 2017 losging, äusserte sich ihr vormaliger CEO Jamie Dimon über Bitcoin noch sehr abschätzig. Das hat sich massiv geändert.

Ja, aber Jamie Dimon sah schon damals sehr grosses Potenzial in der Technologie – und J.P. Morgan hat auch früh und erfolgreich verschiedene Blockchain-Projekte verfolgt. Doch das sind Themen, die nicht besonders öffentlichkeitswirksam sind und den Endkunden nicht betreffen.

Die richtig grossen Themen in Finance und Blockchain sind beispielsweise Corporate Treasury, Zahlungsverkehr, Supply Chain Finance und mittelfristig auch Kapitalmarkt-Transaktionen. Das sind die grossen Baustellen, aber die spannenden Stories in der Öffentlichkeit sind eben Bitcoin-Trading, Digitales Asset Management.

Wohin schauen Sie in Bezug auf Blockchain-Trends?

Interessant sind für mich vor allem die grossen Industriefirmen, die teilweise schon weit fortgeschrittene Blockchain-Projekte live haben. Nestlé zum Beispiel: Produkte, wie den in Frankreich verkauften Kartoffelstock Mousline. Diesen kann der Konsument mit dem Telefon über einen QR-Code scannen und so die ganze Lieferkette bis hin zur Kartoffel zurückverfolgen. Das Thema Neo- und Kryptobanken beschäftigt mich weniger.

In Kryptowährungen investiert CV VC nicht?

Wir investieren nicht in Krypto und auch nicht auf der Ebene der Protokolle – wenigstens vorerst nicht. Wir sind an Startups interessiert, deren Geschäftsmodell auf der Blockchain-Technologie beruht. Wir haben vor allem in diesem Jahr einen riesigen Digitalisierungsschub erlebt, gleichzeitig aber auch gesehen, dass das gegenwärtige Internet an seine Grenzen stösst und es neuer Lösungen bedarf.

«Wir sind in der Regel die ersten professionellen Investoren überhaupt, die für diese Startups Finanzierungen leisten»

Ich denke an Privacy, die Aufbewahrung von Werten, den Datenschutz, sichere und zuverlässige Infrastrukturen oder Transaktionen. Dazu liefert die Blockchain-Technologie faszinierende, zukunftsweisende Lösungen. Das interessiert uns.

Was sind ihre Beurteilungskriterien für ein Startup-Investment?

Wir sind in der Regel die ersten professionellen Investoren überhaupt, die für diese Startups Finanzierungen leisten. In der Regel sind diese Startups auch noch in der Entwicklungsphase – haben also oft weder Cashflows noch Kundenbasis.

Bei den Kriterien läuft es auf eines heraus: Team, Team, Team. Entscheidend sind auch die Idee des Startups, der Zeitpunkt, der potenzielle Markt sowie die Skalierbarkeit.

Worauf fokussiert CV VC?

Unsere Themen liegen in den sogenannten Megatrends, die wir in unserem Portfolio abbilden: Das ist sicherlich die Gig Economy, also Technologien für eine neue Arbeitswelt, dann Science und Education, Health und Lifestyle, IT und Security, Finance und Investing, Ecommerce und Supply Chain. Das Interessante an diesen Themen hat sich auch in der Coronakrise gezeigt. Es sind alles Bereiche, die ihr Wachstum durch die Krise noch beschleunigt haben.

«Insgesamt haben wir bis heute in 27 Startups investiert»

Erst kürzlich haben wir gemerkt, dass die Hälfte unseres Portfolios durchaus auch dazu dient, die Nachhaltigkeitsziele der Uno zu erreichen. Es war eine Bestätigung für unsere Arbeit, dass viele der von uns unterstützten Gründer an Projekten arbeiten, die die Welt zu einem besseren Ort machen sollen.

Welche Summen investieren Sie?

Wir verfolgen zwei Arten von Finanzierungen: Die eine läuft über das Inkubationsprogramm für Startups ab, die sich bei uns bewerben. Das Standardangebot sind hier bis zu 125'000 Dollar für 10 Prozent der Aktien; dazu gibt es das dreimonatige Inkubationsprogramm.

Dann investieren wir auch selektiv in Einzelunternehmen, die schon etwas weiter in ihrer Entwicklung sind. Hier sind die Ticketgrössen zwischen 100'000 und 500'000 Dollar. Bislang sind es fünf solcher Investments. Insgesamt haben wir bis heute in 27 Startups investiert.

Wie ist die Erfolgsquote der CV VC-Investments?

Eines unserer Portfolio-Startups ist gerade daran, seine Bewertung zu verfünffachen, drei Startups haben ihre Bewertung verdoppelt. Ein weiteres Startup hat gerade in Deutschland 750'000 Euro Fördergeld erhalten – ohne Equity abgeben zu müssen. Das ist für uns als Frühinvestor im Hinblick auf eine zweite Finanzierungsrunde ein Traumszenario. Ein weiteres Startup wird nun ein offizieller Spinoff des Cern in Genf.

Und gab es auch Abschreiber?

Ja, wir hatten davon zwei. Es waren unsere zwei kleinsten Investments. Insgesamt sind wir jedoch mit der Entwicklung unseres Startup-Portfolios zufrieden. Die Bewertungssteigerungen stimmen hoffnungsfroh. Aber die Wahrheit liegt natürlich im Exit.

Was ist dort Ihre Strategie?

Wir haben einen Zeithorizont von acht Jahren, solange ist auch die Laufzeit unseres Zertifikates, mit dem sich qualifizierte Investoren an unserem Blockchain-basierten Startup-Portfolio beteiligen können. Die ersten vier Jahre sind den Investments und dem Aufbau des Portfolios gewidmet, die nächsten vier Jahre werden dann vom Portfoliomanagement geprägt und der Perspektive auf einen Exit.

«Es wäre wünschenswert, wenn die Schweiz eine etwas aggressivere Startup-Strategie verfolgen würde»

Sprich: Wir werden bei den vielversprechenden Startups sicherlich noch eine oder zwei Finanzierungrunden mitmachen, dann aber im Rahmen von B- oder C-Runden oder einer Industrieübernahme aussteigen.

Wie planbar ist das?

Schwierig. Als Frühinvestoren können wir nicht wissen, wie sich ein Startup entwickelt, und wie der Exit aussehen wird. Das kann ein Verkauf, ein Börsengang oder die Aufnahme von zusätzlichem Risikokapital sein. Deshalb es wichtig, dass wir die Startups eng begleiten und beraten und gemeinsam eine Vorstellung über den Exit entwickeln.

Wie beurteilen Sie die Schweizer Venture-Capital-Szene?

Im Angel-Investment und im Late-Stage-Bereich ist das Umfeld sehr gut. Aber dazwischen bräuchte es mehr Risikokapital und -geber. Es wäre wünschenswert, wenn die Schweiz eine etwas aggressivere Startup-Strategie verfolgen würde. Das Gründerpotenzial in der Schweiz ist sehr hoch.

Da müsste es das Ziel sein, diese Startups zu unterstützen, damit sie nicht für die erste oder zweite Finanzierungsrunde ins Silicon Valley ziehen. Das möchten wir gerne umdrehen und die spannendsten Startups hier im Crypto Valley finanzieren.

Gelingt Ihnen das?

Wir haben ein Startup aus Chicago im Portfolio, das sich bewusst für die Schweiz und das Crypto Valley entschieden hat, weil es den Nutzen des hiesigen Netzwerks zur Förderung der Blockchain-Technologie gesehen hat. Hier finden die Startups die führenden Blockchain-Protokolle wie Ethereum, Cardano oder Tezos praktisch unter einem Dach vor und haben vom Tag eins an ein Netzwerk von über 150 Unternehmen.

Und wir haben in der Schweiz ab nächstem Jahr die weltweit fortschrittlichste Regulierung, die grosse Innovationen mit der Blockchain-Technologie ermöglicht.

«Es gibt die Evangelisten, die alles tokenisieren wollen»

Dafür ist das Crypto Valley einzigartig. Dazu gehört aber auch: Wenn wir als Crypto Valley andere Tech-Standorte konkurrenzieren und die besten globalen Startups anziehen wollen, müssen wir auch Preise wie im Silicon Valley bezahlen.

Schweizer Banken sehen in der Tokenisierung von Assets ein riesiges Potenzial. Wie schätzen Sie das ein?

Bei uns intern herrschen bezüglich Tokenisierung verschiedene Meinungen: Es gibt die Evangelisten, die davon ausgehen, dass die ganze Welt tokenisiert wird. Dann gibt es jene, welche die Anwendung der Blockchain nur in bestimmten Bereichen sehen, wo eine smarte Datenbank nicht mehr genügt.

In der Bankenwelt hat die Tokenisierung meiner Meinung nach tatsächlich grosses Potenzial. Spannend ist der Bereich Crowd Finance im Bereich von Mittelstands-Unternehmen. Grosse Transaktionen werden aber weiterhin eine starke Bilanz benötigen und ein Netzwerk von Investoren, in dem die Bank die Vermittlerin spielt. Die Blockchain wird dann hauptsächlich in der Abwicklung solcher Deals zum Einsatz kommen.


Olaf Hannemann ist Mitgründer und Chief Investment Officer (CIO) von CV VC, einem Blockchain-Startup-Investor und -Inkubator in Zug. Bis 2016 war Hannemann Investmentbanker bei J.P. Morgan. Zuletzt leitete er das Global Corporate Banking in Zürich. Er stieg aus, um als Investor und Unternehmer im Bereich Ernährung und Gesundheit tätig zu werden.

 

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