Frauen sind häufig selbst schuld am «Gender Pay Gap», weil sie weniger «tough» verhandeln. Eine Aussage, die Feministinnen nicht gerne hören. Warum eigentlich, fragt sich Judith Sevinç Basad in ihrem Beitrag auf finews.first.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.


«Frauen verdienen 21 Prozent weniger als Männer», lautet die Aussage, die hinter dem «Gender Pay Gap» steht. Hier denkt man gerne an eine Riege von sexistischen Abteilungsleitern, die Frauen aus Missgunst den Stundenlohn drosseln und ihnen den Weg zu den Spitzenposten versperren.

Obwohl es in vielen Branchen noch sehr frauenfeindlich zugeht, entspricht dieses Bild nicht ganz den Tatsachen. Denn Frauen suchen sich nicht nur Berufsbranchen aus, die schlechter entlohnt werden, wie die Pflege und den Einzelhandel. Sie sind auch mehrheitlich in geisteswissenschaftlichen Studiengängen mit schlechteren Berufschancen vertreten, während Männer eher technische Studiengänge mit hohen Einstiegsgehältern wählen.

«Das Bild des sexistischen Macho-Chefs trifft auch in diesem Fall nicht zu»

Auch sind es Frauen, die häufiger die Care-Arbeit übernehmen, wodurch sie in die Teilzeitfalle tappen und ihnen besser bezahlte Führungspositionen verwehrt bleiben.

Rechnet man all diese Faktoren aus den 21 Prozent heraus, bleibt die «bereinigte» Lohnlücke von sechs Prozent übrig. Doch auch hier trifft das Bild des sexistischen Macho-Chefs nicht zu. Das fand kürzlich eine Studie des britischen Karriereportals «Milkround» heraus.

Weibliche Uni-Absolventinnen unterschätzen demnach den Wert ihrer eigenen Arbeitskraft um ein Vielfaches. So würde ein Drittel der befragten Frauen einen unterbezahlten Job annehmen, während nur 18 Prozent der männlichen Absolventen bereit wären, für ein zu geringes Gehalt zu arbeiten.

«Glaubt man dem Feminismus, sind solche Behauptungen hochgradig sexistisch»

Einen ähnlichen Trend fand auch die Internationale Hochschule Bad Honnef (IUBH) bei einer Untersuchung heraus: Frauen bewerten ihre Stärken am Arbeitsplatz weitaus niedriger als ihre Arbeitskollegen und Vorgesetzten. Das könne auch ein Grund dafür sein, dass sich Frauen bei Gehaltsverhandlungen oder bei der Bewerbung um Führungspositionen stärker zurückhielten, resümiert der Prorektor der IUBH, Kurt Jeschke.

Glaubt man dem Feminismus, sind solche Behauptungen hochgradig sexistisch. So beharrt Margarete Stokowski auf «Spiegel Online» darauf, dass Frauen durch sprachlich-patriarchale Strukturen in unattraktive Berufe gedrängt werden würden.

«Es ist bezeichnend, mit welcher Vehemenz hier Frauen der freie Willen abgesprochen wird»

Auch DIW-Präsident Marcel Fratzscher stilisiert Frauen zu hilflosen Opfern: Frauen würden sich das schlechte Gehalt nicht selbst aussuchen, schreibt er auf «Zeit Online», sie würden es bekommen. Ausserdem würden sie strukturell benachteiligt werden, weil ihnen der Staat zu wenig Betreuungseinrichtungen für ihre Kinder zur Verfügung stelle.

Es ist bezeichnend, mit welcher Vehemenz hier Frauen der freie Willen abgesprochen wird. Dabei befeuern die Feministen hier genau das Stereotyp, das sie eigentlich überwinden wollen: Die Frau als passives Wesen, das zu schwach ist, um sich gegen patriarchale Strukturen zu wehren, mehr Gehalt zu fordern oder einfach den Partner zur Care-Arbeit zu verdonnern, um nicht auf den Staat angewiesen zu sein.

Wieso verhält sich der Feminismus derart unfeministisch? Der Grund liegt in seiner obskuren Identitätspolitik, mit der er Frauen nicht als selbstdenkende Individuen, sondern als homogene Masse begreift.

«Auch hier wird von einem gesellschaftlichen Trend auf das Individuum geschlossen»

Wenn es also Frauen in der Gesellschaft gibt, die sich selbstverschuldet unemanzipiert verhalten, schliessen die Feministinnen von diesem Trend auf die Charaktereigenschaft jeder einzelnen Frau. Genau hier begehen sie jedoch einen Denkfehler: Nur, weil sich ein paar Frauen im Niedriglohnsektor ausbeuten lassen, bedeutet das nicht, dass ALLE Frauen per se oder von Natur aus willensschwach sind.

Wohin diese Logik führen kann, wurde in einem Café mit dem Namen «Handsome Her» im australischen Melbourne deutlich: Männer werden hier gemäss des australischen «Gender Pay Gaps» aufgefordert, 18 Prozent mehr zu bezahlen, ganz egal ob der Kunde als CEO eines Riesen-Konzerns ein Top-Gehalt erhält, oder ob er als freier Journalist am Hungertuch nagt.

Auch hier wird von einem gesellschaftlichen Trend auf das Individuum geschlossen. Dabei gehen Männer nicht nur als Einzelperson in einer Masse unter, ihnen wird auch der Stereotyp des männlichen Vielverdieners und Versorgers aufgezwängt.

«Frauen dürfen erst seit Ende der 1970er-Jahre ohne die Unterschrift ihres Ehemannes arbeiten»

Diese ganze Aufregung um den «Gender Pay Gap» wirkt umso absurder, wenn man sich die Zahlen der vergangenen Jahre vor Augen führt. So ist der bereinigte «Gender Pay Gap» seit 2006 von 8 auf 6 Prozent gesunken. Der Frauenanteil in Dax-Vorständen hat sich in derselben Zeitspanne von 0,5 auf 13,4 Prozent erhöht.

Dafür, dass Frauen erst seit Ende der 1970er-Jahre ohne die Unterschrift ihres Ehemannes arbeiten dürfen, sind das wahnsinnige Errungenschaften.

Es wird nicht mehr lange dauern, bis Frauen auch den letzten Platz in den Aufsichtsräten und Vorständen erobert haben. Jahrhundertealte Klischees und Vorurteile lassen sich nun mal nicht von heute auf morgen beseitigen, und die Chauvinisten im Chefsessel werden ihre Machtposten nicht freiwillig räumen. Das ist eben ein harter Kampf.


Judith Sevinç Basad studierte in Stuttgart und Berlin Philosophie, Germanistik, Neuere Deutsche Literatur und Politikwissenschaften. Sie schrieb für verschiedene deutsche und schweizerische Tageszeitungen über Feminismus, den Islam und Antisemitismus. Im Jahr 2018 arbeitete sie für die von Seyran Ateş gegründete Ibn Rushd-Goethe Moschee in Berlin-Moabit, die einen geschlechtergerechten Islam praktiziert; 2019 absolvierte sie ein Volontariat im Feuilleton der «Neuen Zürcher Zeitung». Im Moment arbeitet sie als freie Autorin in Berlin. Dieser Beitrag erschien zunächst auf «Salonkolumnisten».


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