Chinesische Unternehmen hätten im Handelskrieg mit den USA nicht unbedingt am meisten zu verlieren, schreibt Michel Longhini in seinem Essay für finews.first.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.


Das Ereignis hätte unbedeutend erscheinen können. Wenn es nicht ein weiterer Beweis für die langfristige Attraktivität chinesischer Aktien gewesen wäre – trotz der Turbulenzen im Zusammenhang mit dem Handelskrieg zwischen Washington und Peking.

Am 1. Juni 2018 wurden die berühmten A-Aktien, also die in Renminbi in Schanghai und Shenzhen kotierten Vorzeigeaktien Festlandchinas, in die weltweiten und regionalen MSCI-Indizes aufgenommen. Bisher waren dort nur die Titel chinesischer Unternehmen vertreten, die in Hongkong oder New York gehandelt werden.

«Auf den ersten Blick stellt dies nur einen Tropfen im Meer dar»

Diese von Peking seit Jahren angestrebte Aufnahme betrifft 234 Unternehmen, deren Gesamtgewicht nur 0,8 Pozent des MSCI Emerging Markets ausmachen wird. Angesichts der 3’500 in China notierten A-Aktien mit einer Gesamtkapitalisierung von nahezu 8’500 Milliarden Dollar stellt dies auf den ersten Blick nur einen Tropfen im Meer dar.

In Wirklichkeit handelt es sich jedoch um einen entscheidenden Schritt. Erstens, weil dadurch aufgrund der Replikationen von Indizes durch institutionelle Investoren und Instrumente der passiven Vermögensverwaltung automatisch Dutzende Milliarden Dollar in die chinesischen Aktienmärkte fliessen werden. Diese Kapitalzuflüsse werden ausserdem noch zunehmen, wenn die chinesischen Titel in den MSCI-Indizes an Gewicht gewinnen.

Zweitens dürfte das gestiegene Interesse an den Aktien chinesischer Unternehmen diese dazu ermuntern, ihre Governance an die internationalen Standards anzupassen.

«Nach Xiaomi werden weitere Technologiekonzerne an die Börse drängen»

Noch wichtiger ist, dass die von den Behörden eingeleiteten Reformen zur schrittweisen Öffnung ihrer Kapitalmärkte für ausländische Anleger durch die Zulassung verankert werden. Innerhalb von einigen Jahren wurde ein Zugang zu den chinesischen Märkten geschaffen, insbesondere durch die Internationalisierung des Renminbi und die Lockerung der Beschränkungen für den Besitz chinesischer Aktien.

Die Plattform «Stock Connect», die seit 2014 die Börse von Hongkong mit jener von Schanghai und seit 2016 mit jener von Shenzhen verbindet, hat ebenfalls dazu beigetragen, wie der starke Anstieg der grenzüberschreitenden Handelsvolumen zeigt. Sie ermöglicht es ausländischen Betreibern, A-Aktien genauso einfach zu handeln wie die in der ehemaligen britischen Kolonie kotierten Wertpapiere.

Auch der Börsengang des Mobilfunkriesen Xiaomi in Hongkong hat die Aufmerksamkeit der ausländischen Anleger auf sich gezogen. Das Unternehmen, das gleichzeitig eine Zweitnotierung auf dem chinesischen Festland in Erwägung zog, scheint diesen Plan verschoben zu haben, und die Analysten haben ihre Bewertungsbandbreite nach unten korrigiert.

Der Börsengang dieses chinesischen Einhorns, das den internationalen Markt mit seinen Smartphones zu überschwemmen beginnt, war trotz einer zunächst enttäuschenden Nachfrage mit fast 56 Milliarden Dollar Bewertung dennoch einer der grössten der letzten Jahre. Nach Xiaomi werden noch zahlreiche weitere Technologiekonzerne mit beneidenswerten Leistungen und einer geschätzten kumulierten Marktkapitalisierung von rund 500 Milliarden Dollar an die Börse in Hongkong drängen.

«Präsident Xi Jinping will die Umweltverschmutzung mit Priorität bekämpfen

Auch in anderen strategischen Sektoren entstehen chinesische Spitzenunternehmen. So zielt der 2015 gestartete Plan «Made in China 2025» darauf ab, die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie durch deren qualitative Aufwertung zu stärken und ihre Abhängigkeit von ausländischen Technologien zu verringern. Bis 2020 soll der Anteil der chinesischen Produktkomponenten auf 70 Prozent erhöht werden.

Präsident Xi Jinping hat zudem die Bekämpfung der Umweltverschmutzung zur politischen Priorität erklärt, was – wie der Infrastruktursektor – massive Investitionen nach sich zieht. Bestimmte Unternehmen der Green Economy sind schon einen Schritt voraus, und die Börsenaufsichtsbehörden haben angekündigt, die Finanzierung nachhaltiger Unternehmen an den Kapitalmärkten fördern zu wollen.

Im Rahmen der Reformen, die darauf abzielen, China «vom beschleunigten Wachstum zum Qualitätswachstum» zu führen, zeigt auch der Kampf gegen das Schattenbankwesen (Finanzierung der Wirtschaft durch riskante Kredite aus informellen Quellen) seine Wirkung. Das Damoklesschwert der globalen Verschuldung ist zwar weiter präsent, doch diese nimmt langsamer zu, und die jüngste Schaffung einer Bankenaufsichtsbehörde mit erweiterten Befugnissen ist ein positives Signal.

«Jetzt ist es an der Zeit, diese schwierigen Reformen fortzusetzen»

Insgesamt bleibt das chinesische Wachstum robust. Auch wenn es von seinen Höchstwerten von über 10 Prozent zurückging, wurden die ewigen Befürchtungen einer harten Landung nicht wahr. Nach Schätzungen von 6,9 Prozent für 2017 und 6,6 Prozent für 2018 dürfte es laut IWF bis 2023 rund 5,5 Prozent betragen. «Die Aussichten sind relativ gut. Jetzt ist es an der Zeit, die schwierigen Reformen fortzusetzen», betonte der IWF-Vertreter in China kürzlich.

Die protektionistische Offensive von Donald Trump könnte die Lage zwar noch verändern, aber bisher befinden sich viele Indikatoren für die Aktien der zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt im grünen Bereich. Und die jüngsten Rückgänge können als Kaufgelegenheit für Aktien der solidesten Unternehmen betrachtet werden.

Während den chinesischen Aktien früher viel Misstrauen entgegengebracht wurde, haben sie sich inzwischen einen Namen gemacht und verdienen einen Platz in langfristigen Portfolios. Zumal chinesische Unternehmen im Handelskrieg nicht unbedingt am meisten zu verlieren haben.

Der Binnenkonsum, der seit 2011 der Haupttreiber des Wachstums ist, hat noch Wachstumspotenzial, das die externen Unsicherheiten abfedern könnte. Hinzu kommt, dass sich die chinesischen Exporte – falls die Vereinigten Staaten sich ihnen verschliessen sollten – weiterhin auf allen anderen, insbesondere den weiterhin ungebremst dynamischen Märkten in Indien und Südostasien absetzen lassen.


Michel Longhini leitet als CEO das Private Banking der Genfer Union Bancaire Privée und ist Mitglied der Geschäftsleitung. Zuvor stand er in Diensten von BNP Paribas Wealth Management, namentlich von 2004 bis Mitte 2008 als CEO der Privatbank in Asien. Insgesamt blickt er auf rund 20 Jahre Erfahrung im Bankwesen zurück. Der Franzose studierte in den 1980er-Jahren an der Lyon Business School, wo er auch sein MBA machte.


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