Angesichts der veränderten geldpolitischen Prioritäten stehe die Inflation kurz vor einem deutlichen Aufwärtstrend, schreibt Darren Williams in seinem Beitrag für finews.first.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen


Die Zentralbanken sind gezwungen, sich mit vielen Herausforderungen auseinanderzusetzen – Ungleichheit, Klimawandel und Schuldenmanagement, um nur drei zu nennen. Wird angesichts dieser Spannungen die Inflationsbekämpfung weiterhin oberste Priorität haben? Ich denke, dass sich die Prioritäten ändern und die Inflation kurz vor einem bedeutenden Anstieg steht.

Bis vor Kurzem hatten die Zentralbanken eine einfache Aufgabe: die Gewährleistung der Preisstabilität. Jetzt werden sie in andere Bereiche hineingezogen: Verringerung der Ungleichheit, Unterstützung des grünen Übergangs und vieles mehr. Wenn die Inflationsbekämpfung nur noch ein Ziel unter vielen ist, steigt das Risiko, dass sie zugunsten dringenderer Anliegen aufgegeben wird.

«Möglicherweise haben die Zentralbanker den Überblick bereits verloren»

Die Covid-19-Pandemie hat die Zentralbanken bereits gezwungen, ihre Mandate zu erweitern. Die Regierungen hätten ihre Volkswirtschaften in den vergangenen 18 Monaten nicht stützen und die Verschuldung nicht auf ein Rekordhoch in Friedenszeiten ansteigen lassen können, wenn sie nicht durch massive Bilanzausweitungen und Anleihenkäufe der Zentralbanken unterstützt worden wären.

Während die meisten Zentralbanker der Industrieländer weiterhin ein Inflationsziel von etwa 2 Prozent anstreben, deuten jüngste Reden darauf hin, dass sie möglicherweise bereits den Überblick verloren haben. Nur wenige (wenn überhaupt) historische Episoden hoher Inflation begannen als bewusste Versuche, das Preisniveau in die Höhe zu treiben.

«Klimawandel und Populismus werden die Politik in eine Richtung drängen, die zu höherer Inflation führt»

Stattdessen entstand die Inflation indirekt, als die politischen Entscheidungsträger andere Ziele verfolgten. Es ist anzunehmen, dass dies auch in den kommenden Jahren der Fall sein wird. Neue politische Herausforderungen wie der Klimawandel und der Populismus werden die Politik wahrscheinlich in eine Richtung drängen, die im Laufe der Zeit zu einer höheren Inflation führt. Entscheidend ist, dass dies als ein akzeptabler Preis angesehen wird, der zu zahlen ist.

Im Laufe des vergangenen Jahres setzte sich immer mehr die Überzeugung durch, dass die Welt an der Schwelle zu einer neuen, inflationäreren Ära steht. Das liegt zum einen daran, dass Covid-19 die Staatsverschuldung noch weiter über den Punkt ohne Wiederkehr hinausgetrieben hat, und zum anderen an der Geschwindigkeit, mit der sich fiskalischer Aktivismus und quasi-monetäre Finanzierung ausgebreitet haben.

«Vieles, was wir einst für selbstverständlich hielten, hat sich geändert»

Umso ist der Konsens erstaunlich, der sich jetzt um die Idee bildet, dass die Höhe der Schulden keine Rolle mehr spielen soll. Führende Politiker in den USA und Europa haben riesige Konjunkturpakete befürwortet, ohne Rücksicht auf Ausgabenbegrenzungen oder Verbote der monetären Finanzierung. Geld- und Finanzpolitik werden immer mehr zu einer Einheit.

Es ist sehr schwierig, erhebliche langfristige Verschiebungen in Echtzeit zu erkennen. In den frühen 1980er-Jahren fragten sich viele Ökonomen, ob sie die Inflation jemals besiegen würden. Doch damals wie heute hat sich der Boden unter ihren Füssen verschoben. Vieles, was wir einst für selbstverständlich hielten, hat sich geändert – vom Ertrag von Konjunkturprogrammen bis hin zur Enttabuisierung der monetären Finanzierung –, und die Regierungen stehen vor grossen, vielleicht sogar existenziellen Herausforderungen.

«Das ist nur die halbe Wahrheit»

So gesehen fällt es schwer zu glauben, dass das Inflationsschema im nächsten Jahrzehnt das gleiche sein wird wie im vergangenen Jahrzehnt. Als John Maynard Keynes in den frühen 1920er-Jahren über die grassierende Inflation schrieb, die in ganz Europa die Ersparnisse vernichtet hatte, warnte er uns davor, die jüngsten Erfahrungen als unveränderlich zu betrachten, als «Teil des permanenten sozialen Gefüges», oder die «Warnung vor vergangenen Unglücken» zu ignorieren.

In den 1960er-Jahren sagte Milton Friedman – der die monetaristische Gegenrevolution gegen den Keynesianismus anführte – bekanntermassen, dass «Inflation immer und überall ein monetäres Phänomen ist».

Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Das politische System, das diese monetären Bedingungen entstehen lässt, ist der Schlüssel. Deshalb ist zutreffender zu sagen, dass Inflation immer und überall eine politische Entscheidung ist. Denn wer findet nicht, dass 4,0 Prozent Inflation ein geringer Preis für die Rettung des Planeten sind?


Darren Williams leitet die Global Economic Research Group für festverzinsliche Anlagen. Er ist ausserdem für die Bereiche Wirtschaftsanalyse, Zinsprognose und Anleihenmarktstrategie in Westeuropa verantwortlich. Er beschäftigt sich seit 30 Jahren mit den wichtigsten Volkswirtschaften Westeuropas. Er stiess 2003 von der Citigroup zu AB Alliance Bernstein. Davor war er am Aufbau einer globalen Aktien-Coverage bei Donaldson, Lufkin & Jenrette (DLJ) beteiligt gewesen sowie in leitenden Fubktionen bei der UBS tätig. Er besitzt einen BSc in Banking und Finance der britischen Loughborough University.


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