Im Laufe der nächsten Jahrzehnte wird sich die Dividende in ein demografisches Defizit verwandeln, da die Bevölkerungen aller grossen Volkswirtschaften schrumpfen wird, schreibt Henk Grootveld in seinem Beitrag für finews.first.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen


In den vergangenen 60 Jahren haben die meisten Länder von einem beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung profitiert: der demografischen Dividende. Ihren Ursprung hat sie im Babyboom nach dem Zweiten Weltkrieg, der die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in den westlichen Wirtschaftssystemen sprunghaft ansteigen liess und durch den Eintritt von mehr Frauen in das Berufsleben noch verstärkt wurde.

Die Dividende wuchs mit dem Einsetzen der Globalisierung, die es den Unternehmen in den Industrieländern ermöglichte, die Produktion an die riesigen Arbeitsmärkte in China und Osteuropa auszulagern.

Unsere Analyse veranschaulicht das Ausmass dieses Phänomens: Diese vier Kräfte stellten den Unternehmen in Nordamerika, Europa und Japan einen Arbeitsmarkt zur Verfügung, der jährlich um 10 Prozent und manchmal sogar um 20 Prozent wuchs, wobei das grösste Wachstum in den letzten vier Jahrzehnten zu verzeichnen war.

Durch die schiere Zahl der Arbeitskräfte und die wirtschaftliche Liberalisierung hat die demografische Dividende das Wirtschaftswachstum gestützt und ein Umfeld mit niedriger oder sogar verschwindend geringer Inflation geschaffen.

«Gibt es mögliche Lösungen für das globale Problem des Arbeitskräfteangebots und der Überalterung?»

In den 2020er-Jahren hat dieser Aufwind nicht nur nachgelassen, sondern er beginnt sich umzukehren. Im Laufe der nächsten sechs Jahrzehnte wird sich die Dividende in ein demografisches Defizit verwandeln, da die Bevölkerungen aller grossen Volkswirtschaften schrumpfen oder sich in einigen Fällen zusammen mit ihren Alterskohorten weiter zurückbilden werden.

In China, das in den letzten Jahrzehnten die weltweit wichtigste Quelle für externe Arbeitskräfte war, altert die Bevölkerung schneller als im Westen, da sich das Erbe der Ein-Kind-Politik bemerkbar macht. Die sinkende Zahl der Arbeitskräfte begrenzt das weitere Outsourcing-Potenzial für die ergrauenden grossen Ökonomien. Dies ist einer der Gründe, warum wir schätzen, dass die weltweite Arbeitnehmerschaft von jetzt an bis mindestens zum Ende dieses Jahrhunderts um durchschnittlich 4-5 Prozent pro Jahr schrumpfen wird.

Dies wird Auswirkungen auf das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, die Inflation und die Art und Weise haben, wie die Menschen in den kommenden Jahrzehnten arbeiten werden und auch auf die Arbeitspolitik und -praxis.

Gibt es mögliche Lösungen für das globale Problem des Arbeitskräfteangebots und der Überalterung? Es gibt ein paar Möglichkeiten, wie die Auslagerung nach Indien oder Afrika oder die Beschleunigung der Automatisierung und Robotisierung unserer Wirtschaftssysteme. Aber keine davon scheint das Allheilmittel zu sein, das wir uns erhoffen. Die Gesellschaften müssen sich einfach auf eine ältere und schrumpfende Bevölkerung mit weniger Arbeitskräften vorbereiten.

Die Vereinten Nationen und die Weltgesundheitsorganisation betonen, dass wir genau das jetzt tun müssen. Vielleicht ist dies ein Grund dafür, dass sie die Jahre 2021-2030 zum Jahrzehnt des gesunden Alterns erklärt und einen bahnbrechenden Bericht über die Bekämpfung von Altersdiskriminierung zusammen mit der dringenden Empfehlung veröffentlicht haben, in den notwendigen Ausbau der primären, häuslichen, langfristigen und palliativen Pflege zu investieren.

«Wir gehen davon aus, dass das Sparen für die eigene Rente in Zukunft zur Norm werden wird»

Was könnten also die potenziellen Veränderungen sein, die mit unserer alternden Gesellschaft einhergehen werden? Zunächst einmal glauben wir, dass die Überalterung der Gesellschaft gepaart mit dem Höhepunkt der Globalisierung und der gegenwärtig nachlassenden Haushalts- und Währungsdisziplin die Inflation wieder auf die Tagesordnung gesetzt hat und dass sich Zentralbanken, Regierungen und Unternehmen darauf einstellen und vorbereiten müssen.

Der nächste Punkt auf der Agenda der politischen Entscheidungsträger sollte eindeutig die Überarbeitung der Rentenfinanzierung und die Anpassung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung von 100 oder sogar 120 Jahren sein, die wir nach Ansicht der Optimisten wahrscheinlich erreichen werden. Die Pay-as-you-go (PAYG) Finanzierung der Renten, die von vielen Regierungen als erste und manchmal auch einzige Säule der Altersversorgung genutzt wird, funktioniert bei stabilen demografischen Verhältnissen in einer Gesellschaft recht gut, wird aber unerschwinglich, wenn sich das Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Rentnern so stark verändert wie heute.

Wir gehen davon aus, dass das Sparen für die eigene Rente in Zukunft zur Norm werden wird und dass die individuellen beitragsorientierten Systeme (DC) der bevorzugte Weg sein werden, wie dies bereits in Ländern wie Australien und den USA der Fall ist.

«Tatsächlich müssen wir uns auf den unvermeidlichen Kater vorbereiten»

Ausserdem müssen wir die Gesundheitskosten radikal senken, indem wir die Digitalisierung nutzen, mehr auf Prävention setzen und zu einem besseren Vergütungssystem als dem heutigen Gebührenmodell übergehen. Wir glauben, dass Covid-19 das konservative Gesundheitssystem endlich in das digitale 21. Jahrhundert geführt hat und dass digitale Werkzeuge und Technologien in der Lage sind, eine bessere Versorgung für mehr Menschen zu geringeren Kosten zu ermöglichen.

Von der Telemedizin über die vernetzte Pflege und vollautomatische Apotheken bis hin zu Wearables, die ihren Diabetes messen und kontrollieren, werden überall neue Technologien getestet und eingeführt, wie es bei der Einführung des Internets in den 1990er Jahren der Fall war.

Die Party des Babybooms für unsere Wirtschaft ist eindeutig vorbei, und wir müssen uns auf den unvermeidlichen Kater vorbereiten.


Henk Grootveld ist Head of Trends Investing bei Lombard Odier Investment Managers. Bevor er im Januar 2020 bei Lombard Odier IM startete, war er zuvor bei Robeco, wo er das Trends Investing Equity Team leitete und zuletzt einen der Flagship-Fonds des Unternehmens verwaltete. Davor war er bei Aegon Asset Management und ING Barings tätig. Er besitzt mehr als zwanzig Jahre Erfahrung im Bereich thematischer Investitionen.


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