Eine Studie platziert die Schweiz hinsichtlich Sustainable Finance im internationalen Vergleich abgeschieden hinter der EU. Behörden, Branchenexpertinnen sowie -experten und Anlegerinnen und Anleger verorten die Schweiz hingegen in einer Führungsposition. Was gilt nun? Eine Auslegeordnung von Alannah Beer auf finews.first.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.


Auf den ersten Blick scheint es alarmierend: Anfang Oktober hat eine Untersuchung von ISS ESG globale Regulierungen in Sustainable Finance betrachtet. Die publizierten Resultate zeigen, dass 2022 der Umfang und die Geschwindigkeit von Regulierungen im Thema Sustainable Finance zwar weltweit zugenommen haben; im «Regulation depth and breath Index» ist die EU nach wie vor führend. Allerdings schneidet die Schweiz im Index, der die Anzahl sowie Breite an Regulierungsthemen erfasst, im internationalen Vergleich eher schwach ab.

Zu den Fakten: Als Mitgliedstaat der Vereinten Nationen (UN) hat sich die Schweiz 2015 bereit erklärt, die UN Sustainable Development Goals für nachhaltige Entwicklung bis 2030 zu erreichen. Die Schweiz hat 2017 das Klimaübereinkommen von Paris ratifiziert und sich 2019 zum Ziel gesetzt, bis 2050 unter dem Strich keine Treibhausgasemissionen mehr auszustossen. Dieses Ziel wurde auch für die Finanzbranche vom Bundesrat 2020 nochmals konkretisiert; so hielt er fest, dass die Position des Schweizer Finanzplatzes als führenden Standort für nachhaltige Finanzdienstleistungen gestärkt werden soll.

«In diesem Jahr hat der Bund die erste grüne eidgenössische Anleihe ausgegeben»

Dies schlägt sich auch auf regulatorischer Ebene nieder: Dieses Jahr kam die Verordnung zur Klimaberichterstattung von grossen Unternehmen in die Vernehmlassung. Die Verordnung konkretisiert gesetzliche Bestimmungen zur Klimaberichterstattung für grosse Schweizer Unternehmen, worunter auch Banken fallen. Ebenfalls in diesem Jahr hat der Bund die erste grüne eidgenössische Anleihe ausgegeben und die Swiss Climate Scores lanciert. Letztere stellen Best-Practice-Ansätze der Transparenz von Finanzanlagen dar und bilden deren Verträglichkeit mit internationalen Klimazielen anhand von sechs verschiedenen Indikatoren ab. Dadurch soll eine vergleichbare und aussagekräftige Informationsbasis generiert werden.

Wieso wird – trotz all dieser Bestrebungen von höchster Ebene – die Schweiz im Index denn nun auf einem der hinteren Plätze geführt? Einfach formuliert: Weil der schweizerische Ansatz ein anderer ist. So setzt die Politik des Bundesrates grundsätzlich auf marktwirtschaftliche Lösungen und die Subsidiarität staatlichen Handelns. Dadurch wird die grosse Mehrheit der Initiativen, die im Bereich Sustainable Finance getroffen wurden, gar nicht von dem Index erfasst.

«All diese Initiativen finden ausserhalb von staatlichen Regulierungen statt»

Im Konkreten bedeutet dies, dass die Branche die Ziele des Bundesrates mit einer Reihe an eigenen Initiativen unterstützt. Dazu gehören die Selbstregulierungen der SBVg (Schweizerische Bankiervereinigung), welche für die Mitglieder verbindliche Vorgaben mit Nachhaltigkeitsbezug für die Anlageberatung und Vermögensverwaltung sowie die Hypothekarberatung definieren. Auch die Selbstregulierung der Asset Management Association Switzerland (AMAS) zu Transparenz und Offenlegung bei Kollektivvermögen mit Nachhaltigkeitsbezug ist Teil dieses Pakets, das der Finanzplatz geschnürt hat.

Auch empfehlen die Dachverbände der Finanzbranche ihren Mitgliedern, den jeweiligen für ihr Geschäftsmodell relevanten Netto-Null Allianzen beizutreten. Als Mitglied einer Netto-Null Allianz bekennen sich die Unterzeichnenden öffentlich, Ziele zur Erreichung von Netto-Null zu formulieren und darüber regelmässig zu berichten. Eine im August publizierte Studie von PwC gemeinsam mit dem Schweizerischen Versicherungsverband (SVV), der AMAS und Swiss Sustainable Finance (SSF) zeigt auf, dass bereits eine gute Abdeckung des Schweizer Finanzplatzes vorhanden ist. All diese Initiativen finden ausserhalb von staatlichen Regulierungen statt – und werden daher nicht vom ISS-ESG-Index erfasst.

«Damit erreicht der schweizerische Ansatz genau das, was der Klimanotstand verlangt»

Nichtsdestotrotz liegen die Vorteile des schweizerischen Ansatzes auf der Hand: Da die Initiativen aus der Branche gemeinsam mit Finanzmarktakteuren entwickelt wurden, verfügen sie über eine hohe Praxisnähe. Dadurch ist nicht nur die Akzeptanz in der Branche gewährleistet, sondern im Gegensatz zu Gesetzen auch eine effiziente und zielführende Adaptivität gegeben.

Zudem greifen die Initiativen deutlich schneller. Dies lässt sich an den Selbstregulierungen der SBVg gut illustrieren: Die Richtlinien wurden innerhalb rund eines halben Jahres erarbeitet, vom Verwaltungsrat verabschiedet und treten bereits am 1. Januar 2023 in Kraft. Damit erreicht der schweizerische Ansatz genau das, was der Klimanotstand verlangt: Effiziente, schnelle und flexible Veränderungen.


Alannah Beer ist seit September 2021 Sustainble Finance Associate bei der Schweizerischen Bankiervereinigung.


Bisherige Texte von: Rudi BogniRolf BanzWerner VogtWalter WittmannAlfred Mettler, Robert HolzachCraig MurrayDavid ZollingerArthur BolligerBeat KappelerChris RoweStefan GerlachMarc Lussy, Nuno FernandesRichard EggerDieter RuloffMarco BargelSteve HankeUrs Schoettli, Maurice PedergnanaStefan Kreuzkamp, Oliver BussmannMichael BenzAlbert Steck, Martin DahindenThomas FedierAlfred MettlerBrigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Kim IskyanStephen DoverDenise Kenyon-RouvinezChristian DreyerKinan Khadam-Al-JameRobert HemmiAnton AffentrangerYves Mirabaud, Hans-Martin KrausGérard Guerdat, Mario BassiStephen ThariyanDan SteinbockRino BoriniBert FlossbachMichael HasenstabGuido SchillingWerner E. RutschDorte Bech VizardAdriano B. Lucatelli, Maya BhandariJean TiroleHans Jakob RothMarco Martinelli, Thomas Sutter, Tom King, Werner PeyerThomas KupferPeter Kurer, Arturo Bris, Frédéric Papp, James Syme, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Marionna Wegenstein, Armin JansNicolas Roth, Hans Ulrich Jost, Patrick Hunger, Fabrizio QuirighettiClaire Shaw, Peter FanconiAlex Wolf, Dan Steinbock, Patrick Scheurle, Sandro Occhilupo, Will Ballard, Nicholas Yeo, Claude-Alain Margelisch, Jean-François Hirschel, Jens Pongratz, Samuel Gerber, Philipp Weckherlin, Anne Richards, Antoni Trenchev, Benoit Barbereau, Pascal R. Bersier, Shaul Lifshitz, Ana Botín, Martin Gilbert, Jesper Koll, Ingo Rauser, Carlo Capaul, Markus Winkler, Konrad Hummler, Thomas Steinemann, Christina Böck, Guillaume Compeyron, Miro Zivkovic, Alexander F. Wagner, Eric Heymann, Christoph Sax, Felix Brem, Jochen Möbert, Jacques-Aurélien Marcireau, Ursula Finsterwald, Michel Longhini, Stefan Blum, Nicolas Ramelet, Søren Bjønness, Gilles Prince, Shanu Hinduja, Salman Ahmed, Peter van der Welle, Ken Orchard, Christian Gast, Jürgen Braunstein, Jeffrey Vögeli, Fiona Frick, Stefan Schneider, Matthias Hunn, Andreas Vetsch, Mark Hawtin, Fabiana Fedeli, Marionna Wegenstein, Kim Fournais, Carole Millet, Swetha Ramachandran, Thomas Stucki, Neil Shearing, Tom Naratil, Oliver Berger, Robert Sharps, Tobias Müller, Florian Wicki, Jean Keller, Niels Lan Doky, Karin M. Klossek, Johnny El Hachem, Judith Basad, Katharina Bart, Thorsten Polleit, Bernardo Brunschwiler, Peter Schmid, Karam Hinduja, Zsolt Kohalmi, Raphaël Surber, Santosh Brivio, Mark Urquhart, Olivier Kessler, Bruno Capone, Peter Hody, Andrew Isbester, Florin Baeriswyl, Agniszka Walorska, Thomas Müller, Ebrahim Attarzadeh, Marcel Hostettler, Hui Zhang, Reto Jauch, Angela Agostini, Guy de Blonay, Tatjana Greil Castro, Jean-Baptiste Berthon, Dietrich Grönemeyer, Mobeen Tahir, Didier Saint-Georges, Serge Tabachnik, Vega Ibanez, David Folkerts-Landau, Andreas Ita, Teodoro Cocca, Michael Welti, Mihkel Vitsur, Roman Balzan, Todd Saligman, Christian Kälin, Stuart Dunbar, Carina Schaurte, Birte Orth-Freese, Gun Woo, Lamara von Albertini, Philip Adler, Ramon Vogt, Andrea Hoffmann, Niccolò Garzelli, Darren Williams, Benjamin Böhner, Mike Judith, Jared Cook, Henk Grootveld, Roman Gaus, Nicolas Faller, Anna Stünzi, Thomas Höhne-Sparborth, Fabrizio Pagani, Ralph Ebert, Guy de Blonay, Jan Boudewijns, Sean Hagerty, Alina Donets, Sébastien Galy, Roman von Ah, Fernando Fernández, Georg von Wyss, Stéphane Monier, Beat Wittmann, Stefan Bannwart, Andreas Britt, Frédéric Leroux, Nick Platjouw, Rolando Grandi, Philipp Kaupke, Gérard Piasko, Brad Slingerlend, Dieter Wermuth, Grégoire Bordier, Thomas Signer, Brigitte Kaps, Gianluca Gerosa, Michael Bornhäusser, Lars Jaeger, Christine Houston, Manuel Romera Robles, Fabian Käslin, Claudia Kraaz, Marco Huwiler, Lukas Zihlmann, Nadège Lesueur-Pène, Sherif Mamdouh, Harald Preissler, Claude Baumann, Taimur Hyat, Philipp Cottier, Andreas Herrmann und Camille Vial, Marcus Hüttinger, Ralph Ebert, Serge Beck und Teodoro Cocca.