finews.asia-Redaktor Andrew Isbester macht sich auf finews.first Gedanken zu den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden der Bankangestellten, zur Produktivität und zu allgemeinen Vor- und Nachteilen in der Finanzbranche.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.


In Hongkong soll jetzt Hochbetrieb herrschen. Nach dem schlagartigen Ende der Corona-Restriktionen haben sich viele Restaurant- und Geschäftsbesitzer eingeredet, dass die reisehungrigen Touristen und Business Traveller am 3. Januar 2023 wieder zurück sein würden. Doch die Cafés, Büros und Einkaufszentren im zentralen Geschäftsviertel der Stadt sind diese Woche nach wie vor ungewöhnlich leer. In der Queen's Road, einer der wichtigsten Haupteinkaufsmeilen im Zentrum, gibt es zwischen den vielen Schildern und Plakaten von Immobilienmaklern gerade mal ein einziges, neues, hell erleuchtetes zweistöckiges Geschäft.

Dabei handelt es sich weder um ein grosses internationales Modelabel noch um einen etablierten Juwelier oder eine bekannte europäische Luxusgütermarke, sondern bloss um einen grösseren Lebensmittelladen. Darin mischen sich mittelmässige Haar- und Hautpflegeprodukte mit einer merkwürdigen Kombination an abgepackten Lebensmitteln, Schokolade und anderen Verbrauchsgütern, die möglicherweise die Zukunft einer Stadt im Niedergang ankündigen – oder vielleicht doch einen bevorstehenden Massenandrang von Touristen.

«Wenn man von jemandem etwas wollte, winkte die angesprochene Person reflexartig ab»

Doch vielleicht reflektiert die aktuelle Stimmung bloss die Arbeitskultur in der Hongkonger Finanzbranche. Bis zur Pandemie war diese bis 9 Uhr morgens durch einen gemächlichen Gang ins Büro gekennzeichnet, wobei trotzdem die meisten zu spät kamen und irgendeine Art von Verkehrsstau oder U-Bahnstörung dafür geltend machten. Einige Stunde später verliess eine zuvor gebildete Gruppe von Mitarbeitenden aus verschiedenen Teams pünktlich um die Mittagszeit das Büro und kehrte frühestens um 14.30 Uhr zurück, woraufhin alle hoch beschäftigt bis mindestens 19 Uhr oder gar 20 Uhr wieder arbeiteten.

Genau genommen schienen die meisten Mitarbeitenden ihre Nachmittage allerdings damit zu verbringen, auf ihre Computerbildschirme zu starren und E-Mails zu beantworten, und zwar ungefähr jede Stunde eine E-Mail. Wenn man von jemandem etwas wollte, winkte die angesprochene Person reflexartig ab und erklärte nachdrücklich, dass sie viel zu beschäftigt sei. Und am Ende des Tages würde dieselbe Person in Hörweite des nächstbesten Kollegen standhaft behaupten, einen aussergewöhnlich strengen Arbeitstag hinter sich zu haben.

«Für angeblich viel beschäftigte Leute ist das nicht sonderlich viel»

Die Realität dürfte eine andere sein. Das «HR Magazine» stellte im vergangenen Jahr in einer Umfrage fest, dass nur gerade 30 Prozent der Arbeitnehmenden in Hongkong mehr als 48 Stunden pro Woche arbeiteten. Für angeblich viel beschäftigte Leute ist das nicht sonderlich viel. Die Daten der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) untermauern diese Annahme: Denn Länder wie Jemen, Katar, Kambodscha, Bangladesch oder die Vereinigten Arabischen Emirate weisen wesentlich höhere durchschnittliche Arbeitspensen pro Woche aus. Hongkong figuriert in dieser Erhebung erst auf Platz 35; weit hinter China, das auf Platz 15 rangiert. Die meisten europäischen Länder sind am unteren Ende der Liste zu finden, wenn auch nicht ganz am Ende. Die Schweiz liegt auf Platz 130.

Ein Blick auf die OECD-Daten zum Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) im Verhältnis zur Arbeitszeit stellt indessen alles wieder auf den Kopf. Denn in dieser Statistik führt Irland die Liste an, vor Rumänien, die Türkei, Lettland, Litauen und Estland. Auf Platz acht folgt dann Südkorea als das erste Land aus dem asiatisch-pazifischen Raum, während die USA und die Schweiz auf den Plätzen 20 und 21 rangieren.

«Die weltbekannten Finanzzentren dieser Welt nicht an der Spitze der diversen Ranglisten»

Unter diesen Prämissen reflektieren die verschiedenen Feststellungen, Erhebungen und Statistiken ein höchst diffuses Bild. Zwei Dinge lassen sich indessen klar daraus ableiten: Erstens entsprechen Produktivität respektive Output nicht den geleisteten Arbeitsstunden. Und zweitens stehen die weltbekannten Finanzzentren dieser Welt nicht an der Spitze der diversen Ranglisten. Das sollte den Arbeitnehmenden aus dieser Branche zu denken geben, wenn sie sich Sorgen machen, dass sie möglicherweise zu viel arbeiten.


Andrew Isbester, ein schweizerisch-britischer Doppelbürger, ist Editor-at-large von finews.asia und finews.com. Er lebt seit 14 Jahren in Hongkong. Er verbrachte seine Jugend in Argentinien, Brasilien, den USA, Belgien und Schottland, bevor er in den 1990er- und frühen 2000er-Jahre in die Schweiz zurückkehrte, wo er als Korrespondent und später als Büroleiter der internationalen Nachrichtenagentur «AFX News» arbeitete, die Teil der «Agence France Presse» (AFP) und der «Financial Times» war. Danach war er in Zürich und Hongkong für mehrere Grossbanken tätig, bevor er seine Tätigkeit als Journalist wieder aufnahm.


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